Der Blick vom Nordufer des Bielersees bei Ligerz eröffnet uns eine weite Aussicht auf die von ewigem Eis bedeckten Gipfel. Deutlich lassen sich von links nach rechts das Schreckhorn, Finsteraarhorn, Wetterhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau erkennen. In diesen Berner Alpen liegen viele der Gletscher, die wir im Folgenden besuchen werden.
Johann Gottfried Ebel (1764-1830) schätzte 1810 die Ausdehnung der Gletscher in den Zentralalpen folgendermassen:
"In den Alpen vom Montblanc bis an die Grenze vom Tyrol liegen gegen 400 Gletscher, von denen äusserst wenige kleiner als eine Stunde [entspricht ungefähr 4.5 km] lang, sehr viele 6-7 Stunden lang und 1/2-4 St. breit und 100-600 F[uss] [1 Fuss entspricht ca. 30 cm] mächtig sind. Es ist unmöglich, die Flächenausdehnung aller dieser Eismassen genau bestimmen zu können; indessen lässt sich dem Verstande doch eine Total-Vorstellung geben. Ich habe es versucht, die Ausdehnung aller Gletscher nach einem Maasstabe zu berechnen, der bestimmt eher zu klein als zu gross ist; und daraus ergab sich: Dass in den Alpen vom Montblanc durch die ganze Schweitz bis an die Grenze Tyrols ein Eismeer von beynahe 50 deutschen Quadratmeilen [1 Meile entspricht ungefähr 7.5 km] liegt, welches der unversiegbare Quell der wichtigsten und grössten Flüsse von Europa ist."
Johann Gottfried Ebel, Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen, Bd. 3, Zürich 1810, S. 121
"Dieses Thal ist eines der berühmtesten und besuchtesten der Schweiz, weil man nirgends so gefahrlos und bequem Gletscher sehen und bewundern kann, wie hier."
Dieser Satz von Johann Gottfried Ebel (1764-1830) bringt auf den Punkt, was um 1800 die Touristen massenweise nach Grindelwald brachte. Der Obere und der Untere Grindelwaldgletscher endeten damals beide in unmittelbarer Nähe der Dorfsiedlungen. Als einziger Gletscher der Alpen reichte der Untere Grindelwaldgletscher bis unter 1000 Höhenmeter. Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme, in den späten 1780-er Jahren, war der Untere Grindelwaldgletscher sich nach einem starken Vorstoss wieder am Zurückziehen. Carl Gottlob Küttner (1755-1805) beschreibt die von Gegensätzen geprägte Landschaft:
"Das Wetterhorn, der Eiger und der Mettenberg scheiden dieses Thal von der Republik Wallis. Sonderbarer hab' ich nie einen Kontrast gesehen! Auf diesen drey Bergen wächst keine Staude, vielweniger ein Baum, ihr oberer Theil ist mit Schnee und Eis bedeckt, wovon das letztere an zwey Orten sich ins Thal herab senkt und die zwey Gletscher bildet, die so oft gezeichnet und gestochen worden sind. Neben diesen nun wachsen Erdbeere, Heidel- Brom- und Preiselsbeere, und die Wiesen sind so schön, als man sie immer in der Schweiz finden kann."
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Bd. 3, Zürich, S. 171; Carl Gottlob Küttner, Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an einen Freund in Leipzig, Leipzig 1785/86, Bd. 2, S. 141; GLAMOS 1881-2023, The Swiss Glaciers 1880-2022/23, Glaciological Reports No 1-142, Yearbooks of the Cryospheric Commission of the Swiss Academy of Sciences (SCNAT), published since 1964 by VAW / ETH Zurich, doi:10.18752/glrep_series; Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, Fig. 1
Als Johann Ludwig Aberli um 1768 diese Ansicht zeichnete, war der Untere Grindelwaldgletscher weniger eindrucksvoll als fünfzig Jahre später. Er endete am Ausgang der Gletscherschlucht auf den Schopffelsen und vom Tal aus sah man ihn nicht besonders gut. Trotzdem besuchten Touristen die Stelle, wo die Lütschine aus der Gletscherschlucht hervorsprudelte.
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, Fig. 1
"Der Zugang zum Unteren Grindelwaldgletscher, der das Wasser der Lütschinen austreten lässt, ist nicht beschwerlich.
Selbst Damen können sich mühelos zu seiner Zunge in das Tal begeben und sich eine richtige Vorstellung von diesem einzigartigen Anblick machen."
Um 1775 war der Gletscher wieder angewachsen, sodass sein Zungenende etwas aus der Gletscherschlucht hervorragte. Er bildete also zu diesem Zeitpunkt den "Schweif", der dann im 19. Jahrhundert immer wieder dargestellt werden sollte. Bis 1790 zog sich dieser unterste Teil des Gletschers aber wieder bis auf die Schopffelsen zurück. Gottlieb Sigmund Gruner (1717-1778 ) schrieb 1778:
"Die Grindelwalder klagen: die Gletscher nehmen ihnen immer mehr fruchtbares Land weg. An der Grimsel hörte ich dieselbe Klage, von zweyen Eisthälern, so ehmals fruchtbar gewesen, nun aber vergletschert sind. Im Wallislande, im Faucigny, aller Orten lautet es eben so. Es muss folglich dem also seyn. Hier im Grindelwald hat man einen überzeugenden Beweis an den Lerchtannen, die nun in der Höhe von einer ganzen Stunde tief im Eise stehen [...]. Dass also die Gletscher nach und nach mehr Land erobern, scheint unläugbar."
Jakob Samuel Wyttenbach, Vues remarquables des montagnes de la Suisse, dessinées et colorées d’après nature, Amsterdam 1785, Introduction; Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, Fig. 1; Gottlieb Sigmund Gruner, Reisen durch die merkwürdigsten Gegenden Helvetiens, Londen [i. e. Bern] 1778, Bd. 2, S. 23-24
Ab etwa 1812/14 begann der erste grosse Vorstoss des Unteren Grindelwaldgletschers im 19. Jahrhundert. Die grösste Ausdehnung war um 1820 erreicht. In den vorhergehenden sechs bis acht Jahren war er 450 bis 520 m länger geworden und bildete nun den sogenannten "Schweif" aus, der fast bis in den Talboden reichte.
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, S. 11
Den Stand von 1820 behielt der Gletscher während etwa 20 Jahren mehr oder weniger bei. Ab 1840 begann der zweite Vorstoss des 19. Jahrhunderts, der bis 1860 anhielt. Seither hat sich die Eismasse rund 4.5 km zurückgezogen, besonders rasch in den letzten 20 Jahren.
Diese Gouache von Johann Ludwig Bleuler zeigt den Gletscher in der Morgendämmerung. Der Ursprung beim Ischmeer ist schon von der Sonne beschienen, während der bis in den Talboden reichende Schweif sich noch im Schatten des Mättenbergs befindet. Geschickt kontrastiert Bleuler die ordentliche Dorfansicht im Vordergrund mit den ungestümen Eismassen des Unteren Grindelwaldgletschers.
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, Fig. 1; GLAMOS 1881-2023, The Swiss Glaciers 1880-2022/23, Glaciological Reports No 1-142, Yearbooks of the Cryospheric Commission of the Swiss Academy of Sciences (SCNAT), published since 1964 by VAW / ETH Zurich, doi:10.18752/glrep_series.
Nicht zuletzt die Gletscher führten zum starken Wachstum des Tourismus in Grindelwald. Als eines von mehreren grossen Hotels eröffnete das Grandhotel Bär 1893, nachdem das alte Hotel beim grossen Dorfbrand von 1892 zerstört worden war. 1941 fiel es wiederum einem Brand zum Opfer und wurde nicht wiederaufgebaut.
Der Untere Grindelwaldgletscher hat sich um 1900 schon so weit zurückgezogen wie wahrscheinlich zuletzt um 1570. Von der gegenüberliegenden Talseite ist er noch sichtbar, doch seine frühere Ausdehnung ist nur noch anhand der aperen Hänge und Felswände erkennbar, die von der Vegetation erst langsam wiederbesiedelt werden.
https://www.grindelwaldgeschichten.ch/zeitlupe/brand-grandhotel-baer [04.11.2024]; Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, Fig. 1
"Eine Stunde gehens das Thal von Grindelwald hinan, am Wege nach der Scheideck, rechts eine kleine Strecke zu Seite, liegt der obere Grindelwald-Gletscher. Er unterscheidet sich wenig von dem untern und ist auch nicht schöner, hat aber zu Zeiten grössere Eisgewölbe an seinem untern Rande, namentlich an der Ostseite."
Der Obere Grindelwaldgletscher war weiter vom Dorf entfernt und deshalb weniger im Fokus der Touristen. Er stiess auch nicht so spektakulär vor. Vielmehr änderte sich die Dicke des Eises, das zu jeder Zeit den Talboden erreichte. Trotzdem wuchs auch er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an.
Karl Baedeker, Die Schweiz. Handbüchlein für Reisende, nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen bearbeitet, Koblenz 1844, S. 167; Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, S. 12
Die Kirche von Grindelwald mit dem mächtig dahinter aufragenden Wetterhorn ist noch heute ein beliebtes Fotosujet. Im Unterschied zu heute war jedoch auch der Obere Grindelwaldgletscher ein unübersehbares Landsschaftselement und wurde wegen seiner spektakulären Lage besucht.
"Obwohl der Untere Gletscher Ungleichheiten in Form von Türmen, Obelisken, Säulen usw. aufweist, die abwechslungsreicher und klarer definiert sind als die des Oberen Gletschers, tut der Reisende gut daran, letzteren zu besuchen, und sei es nur, um einen näheren Blick auf das Wetterhorn zu erhaschen. Dieser Berg hat seinen Namen von den Stürmen, die auf seinem fast immer verhüllten Gipfel toben und die die Einwohner als Barometer betrachten."
Picturesque Tour through the Oberland in the Canton of Berne, in Switzerland, London 1823, S. 94-95
Am 2. Oktober 1854 hat Georg Meyer-Zimmermann (1814-1895) mit seinem Aquarell den Oberen Grindelwaldgletscher zum Zeitpunkt der grössten Ausdehnung dargestellt.
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, S. 12
Der Obere Grindelwaldgletscher schmilzt auch langsamer als sein unterer Nachbar. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot er dieses spektakuläre Schauspiel, wenn man mit dem Wetterhorn-Aufzug über ihn hinwegschwebte.
Dieser Aufzug eröffnete 1907 und war die erste elektrische Seilbahn für den Personentransport in der Schweiz. Eigentlich sollte sie bis auf den Gipfel des Wetterhorns fahren, doch nur die erste Etappe wurde gebaut. Als mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 die Touristen ausblieben, wurde das Unterfangen aufgegeben. Bis dahin konnte man für fünf Franken (heute etwa 55 Franken) seine Schwindelfreiheit beweisen.
Der Rosenlauigletscher endete während der gesamten Kleinen Eiszeit etwa 650 Meter vor dem Stand von heute. Um 1820 stiess er noch weiter vor und erreichte beinahe die Talsohle. Diese Ansicht zeigt aber das Gletscherende noch vor diesem Vorstoss.
"[Der Rosenlauigletscher] ist kleiner als die Grindelwaldgletscher, wegen der krystallhellen Reinheit seines Eises und dem durchscheinenden Azur in den Spalten und Klüften aber vor allen berühmt. Diese Eigenschaft ist ohne Zweifel Folge der ihn einschliessenden Gebirgsarten, die in ihren Ablagerungen weder Mergelschiefer, noch andere Unreinigkeiten absetzen, wodurch die Grindelwaldgletscher ein so schmutziges Aussehen bekommen. An der linken Seite des Gletschers führt ein steiler Pfad in einer halben Stunde auf ein diesen überragendes Felsriff, von wo man eine gute Übersicht über den Gletscher hat. Die äussern Umrisse des Riffes haben die Gestalt eines menschlichen Antlitzes, es wird daher auch wohl der Wächter des Gletschers genannt. Ein Bursche, der bei der Ankunft jedes Reisenden sich äusserst thätig zeigt, mit einem Beil Stufen in das Eis zu hauen, und dafür ein Trinkgeld erwartet, fehlt auch hier nicht."
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, S. 10-12; GLAMOS 1881-2023, The Swiss Glaciers 1880-2022/23, Glaciological Reports No 1-142, Yearbooks of the Cryospheric Commission of the Swiss Academy of Sciences (SCNAT), published since 1964 by VAW / ETH Zurich, doi:10.18752/glrep_series; Karl Baedeker, Die Schweiz. Handbüchlein für Reisende, nach eigener Anschauung und des besten Hülfsquellen bearbeitet, Koblenz 1844, S. 169-170
Während dem Vorstoss erreicht der Gletscher um 1825 fast die Talsohle.
"Auf halbem Weg nach Meyringen halten wir an, um einen letzten Blick auf die großen Berge von Grindelwald zu werfen, die bald nicht mehr zu sehen sein werden: Die gewaltige Jungfrau ist bereits verschwunden; der Eiger, der sie berührt, zeigt noch immer seinen scharfen Gipfel am Ende der Schlucht; näher an uns ist der Sturmgipfel (das Wetter-Horn), der fast ständig in Wolken gehüllt ist; der große nackte Felsen des Well-Horns steht in der Mitte, und hinter ihm breiten sich die strahlenden Gletscher der Rosenlaui aus. Dieses imposante Bild ist charakteristisch: Es gibt die strenge und gleichzeitig lebhafte Natur der Schweizer Berge gut wieder. Viele Maler haben an diesem Ort Halt gemacht und große Eindrücke mit nach Hause genommen."
Heinz Jürg Zumbühl (Hrsg.), Die Kleine Eiszeit. Gletschergeschichte im Spiegel der Kunst (Ausst.-Kat. Luzern/Bern 1983), Bern 1984, S. 10-12; Gabriel Lory fils (Hrsg.), Voyage pittoresque de l'Oberland Bernois, Paris 1822, Vue des Montagnes du Wetter-Horn, Well-Horn, et du Glacier de Rosenlaui
Auch die Aargletscher waren von der Passhöhe des Grimsel relativ einfach zu erreichen. Johann Gottfried Ebel schreibt in seinem Reiseführer:
"Aargletscher. Alle Felsen umher tragen ausgedehnte Gletscher- und Eisthäler. Nach NO. zieht das lange Gelmer-Eisthal und nach SW. liegen die ausserordentlichen Aar-Eisthäler. Es ist der Mühe werth, bey gutem Wetter einen Tag zum Besuchen der letztern zu verwenden. Sichre Führer und Wegweiser findet man im Spithal; ohne Gefahr kann man hier in den Schooss der hohen Felsen- und Gletscher- Natur eindringen, wo alles das Gepräge einer andern Welt trägt. Vom Spithal his zum Zinken Stock 1 St., wo das Ende des Vorder- oder Lauteraar-Gletschers in eine Eiswand ausgeht. Der Gletscher ist 1 St. weit mit Granittrümmern überschüttet; das Hinaufsteigen ist beschwerlich, dauert aber nicht länger als 1/4 St. Er ist ganz eben ohne Spalte, 6 St. lang und 2 St. breit. Hin und wieder runde Vertiefungen, aus deren Mitte sich Eispfeiler erheben, welche grosse Trümmerblöcke tragen; Eispyramiden von 18 F. Höhe aus durchsichtigem Eise."
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Bd. 3, Zürich 1810, S. 165-166
Der sächsische Reisende Carl Gottlob Küttner (1755-1805) besuchte die Aargletscher um 1780:
"Drey Stunden weiter hinter, auf dem Lauteraar-Gletscher, liegt ein grosser Fels, der, vielleicht vor Jahrhunderten, von den Bergspitzen herab aufs Eis gefallen ist. Da das Eis beständig seine Gestalt ändert, hier schmilzt, dort sich frisch ansezt, so hat sich das Eis unter diesem Felsen nach und nach verzehrt, so daß er jezt auf einer Eissäule ruht, und sein größter Theil in der Luft schwebt. Ich kenne dieses sonderbare Spiel der Natur und des Zufalls blos durch eine Zeichnung, die ich davon besitze, von Herrn Wolf, einem Schweizermaler, der tiefer in die Eisberge eingedrungen ist, als irgend Jemand vor ihm. Bey Herrn Wagner zu Bern sah ich eine Menge Oelgemälde von ihm, die eine Frucht dieser Reisen sind und die in Kupfer gestochen werden, und mit einer Beschreibung von einem Berner Geistlichen herauskommen sollen. Es ist zum Erstaunen, wie viel Mühe sich diese beiden Männer gegeben haben, um in die entferntesten, zum Theil vorher von niemand gesehenen Eisthäler hier, am Grindelwalde, hinter dem Lauterbrunnenthal u. s. w. einzudringen."
Carl Gottlob Küttner, Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an einen Freund in Leipzig, Leipzig 1785/86, S. 119-120
"[...[ inmitten dieser schrecklichen Ebene machen diese großen Steine, die wie bizarre Denkmäler aussehen, die von geheimnisvollen Wesen errichtet wurden, die Einsamkeit noch düsterer und furchterregender."
Die moderne Forschung beschreibt die Entstehung dieser speziellen Formationen folgendermassen:
"[Gletschertische] erreichen mitunter beträchtliche und spektakuläre Höhen, was neben der Grösse der Steinplatte und den klimabedingten Ablationsbeträgen auch vom Sonnenstand abhängt – in den hohen Breitengraden tritt dieses Phänomen nicht auf. Sie unterliegen einem ständigen, periodischen Entstehungs- und Zerstörungszyklus: Ab einer gewissen Höhe, vom Einfallswinkel der Sonne abhängig, beginnt das einstrah-lungsbedingte einseitige Abschmelzen des Fusses, und die Deckplatte neigt sich in Richtung der Sonne, bis sie schliesslich seitlich abrutscht und der Prozess von vorne beginnen kann. Ein Gletschertisch oder genauer der schützende Gesteinsblock wird im Zehrgebiet wie ein Boot auf der Oberfläche des Gletschers mitgetragen."
Gabriel Lory fils (Hrsg.), Voyage pittoresque de l'Oberland Bernois, Neuchâtel/Paris 1822, Les pierres sur le glacier de l'Aar; https://www.sac-cas.ch/de/die-alpen/gletschertische-mittelmoraenen-und-eingepackte-gletscher-ueberstrahlungs-und-waermebedingte-eisver-aenderungen-17217/ [18.11.2024]
"Ein paar Meilen weiter vorne sind wir vor dem schrecklichen Finsteraarhorn angekommen: Es ist eine Barriere, vor der man stehen bleiben muss; sie zu überqueren hieße, dem Tod ins Auge zu blicken; dennoch haben es einige mutige Männer, die von einem Hospizdiener geführt wurden, im Jahr 1812 unternommen und ohne Unfall ausgeführt: Sie gingen in das dunkle Tal, aus dem die Gämsen zu kommen schienen, und dann über den Grat, dessen Anfang wir sehen und der den Gipfel des Finsteraarhorns mit dem des Schreckhorns verbindet, das eine Meile nach rechts entfernt ist; an der Rückseite dieses Gipfels, Straleck genannt, stiegen sie zu der grünen Insel Zesenberg hinab, von der wir bei unserem Besuch in Grindelwald gesprochen haben, und gelangten schließlich über den unteren Gletscher in dieses letzte Tal. Auf einer anderen Tour im Vorjahr begaben sie sich durch das Oberaartal, das hinter dem linken Gletscher liegt, und setzten auf dem als unzugänglich geltenden Gipfel der Jungfrau eine Fahne. Bei diesen verschiedenen Exkursionen waren sie gezwungen, mehrere Nächte inmitten dieser eisigen Wüsten zu verbringen: ihr Leben hing absolut von der trügerischen Dauer des schönen Wetters ab; ein Nebel hätte sie für immer in diesem riesigen Grab beerdigt."
Aufgrund einer technischen Beschränkung der Kartendarstellung wird die Spitze des Finsteraarhorns hier nicht angezeigt. Sie ist jedoch auf der Ansicht kaum übertrieben dargestellt
Gabriel Lory fils (Hrsg.), Voyage pittoresque de l'Oberland Bernois, Neuchâtel/Paris 1822, Vue prise au pied du Finsteraarhorn
Als Gottlieb Sigmund Gruner (1717-1778) 1777 den Rhonegletscher besuchte, stellte er fest, dass dieser sich stark verändert hatte seit Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) ihn 1708 erstmals beschrieben hatte. Tatsächlich war er seither mehr als 230 Meter zurückgewichen und bot keinen so beeindruckenden Anblick mehr.
"Bereits Herr Scheuchzer hat den Gletscher beschrieben [...] und den ersten Abriss davon geliefert [...] so wie derselbe bereits vor ungefehr 70 Jahren sich zeigte. Damals war er in der That merkwürdig genug, indem er neben einem steil abfallenden Eisschrund, mit aufgestellten Pyramiden noch einen Gletscherberg, oder Eismasse von derbem Eise, einige hundert Schuh hoch, wie der Gupf von einem Hut gestaltet, vor sich liegen hatte. Nunmehr aber sieht dieser beruffene Gletscher ganz anderst aus, und ist nicht merkwürdiger, als hundert andre, die ich bereits gesehen habe. Der Gletscherberg ist völlig weggeschmolzen, und der Eisschrund besteht nicht mehr aus zusammengesetzten Pyramiden: sondern ist ganz glatt, und wie ein sanfter sich hinunterstürzender Strom anzusehen; oben mit horizontal laufenden, unten aber mit senkrechten Schründen durschnitten."
Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]; Gottlieb Sigmund Gruner, Reisen durch die merkwürdigsten Gegenden Helvetiens, 1. Teil, London [i. e. Bern] 1778, S. 232-233
Als diese Ansicht um 1825 entstand, war der Gletscher im Vergleich zu 1777 rund 360 Meter weit vorgestossen. Es handelt sich um den ersten Vorstoss im 19. Jahrhundert, das Zungenende war nur noch etwa 250 Meter von Gletsch entfernt.
Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]
"Der Rhonegletscher ist einer der schönsten der Schweiz; er ist sehr ausgedehnt, hat die Form eines Amphitheaters und ist von hohen Bergen umgeben, die mit ewigem Schnee bedeckt sind, der ihn ständig nährt. Er ist nicht sehr schwer zugänglich, aber man sollte ihn nur mit großer Vorsicht betreten, denn kein Gletscher ist mit mehr breiten und tiefen Spalten und Rissen übersät."
Mitte des 19. Jahrhunderts war der Gletscher zum zweiten Mal weit vorgedrungen. Um 1856 endete er nur noch 325 Meter von Gletsch entfernt.
Louis Reynier, Guide des Voyageurs en Suisse, Brüssel 1821, S. 72; Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]
Bis 1870 hatte sich der Gletscher nach zwei markanten Vorstössen wieder zurückgezogen und endete nun ungefähr an derselben Stelle wie hundert Jahre zuvor um 1777. Er bildete wieder den grossen "Eiskuchen" im Talkessel, den die Reisenden schon immer so beeindruckend gefunden hatten.
Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]
Von nun an zog sich der Gletscher immer weiter zurück. Noch bot er aber einen spektakulären Anblick, und so verwundert es nicht, dass in seiner nächsten Umgebung eine touristische Infrastruktur entstand.
Bereits 1830 hatte Josef Anton Zeiter aus Münster eine erste Herberge gebaut. Hier, an der Verzweigung von Grimsel- und Furkapass und in unmittelbarer Nähe des Gletschers waren besonders viele Touristen zu erwarten. 1858 eröffnete an dieser Stelle das Hotel "Glacier du Rhône", das bis 1870 zu einem grosszügigen Gebäude erweitert wurde. 1868 besuchte Königin Victoria Gletsch, was den Ort noch bekannter machte als er ohnehin schon war. 1866 hatte die neue Furkastrasse im Hintergrund den Verkehr auch für Fuhrwerke geöffnet und ab 1891-95 zweigte die Grimselstrasse direkt in Gletsch ab.
Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]; "Gletsch", in: Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) (PDF) [19.11.2024]
Um 1900 hatte sich der Gletscher im Vergleich zur längsten Ausdehnung um 1825 bereits ganze 1580 Meter zurückgezogen. Er erreichte nun nicht mehr den Talboden, zeigte aber noch den spektakulären Eisfall. 1896 wanderte der Schriftsteller Joseph Viktor Widmann (1842-1911) aus dem Oberwallis auf die Grimsel:
"Und plötzlich – eine überraschende Wendung der Strasse: da liegt der Rhonegletscher, mit bläulich-weissem Eislicht noch hinausblinkend in die Abenddämmerung, ein unvergesslich schöner Anblick. Auch der gute, grossartige Gasthof, der dort steht, war schliesslich nach langer Wanderung und bei einbrechender Dunkelheit etwas sehr Angenehmes. So auf einmal aus der Einsamkeit der Klus, wo ich keinem Menschen begegnet war, mich mitten unter die glänzende Touristenwelt versetzt zu sehen, die im Sommer unser Land bereist, war ein pikanter Kontrast, den ich mit viel Vergnügen genoss. Hier ist auch der rechte Ort dazu: Alle Agenblicke langte von der Furka her eine mehrspännige Reisekalesche an und die Abend-Table d'hote zeigte zwei lange Reihe von Gästen. Ein so grosses Haus ist auch für die Einwohner der dortigen Gegend ein natürlicher Sammelpunkt; zugleich umstanden Bergführer und Strassenarbeiter und andere Landleute an diesem Abend den Gasthof; doch hingen die Wolken zu dunkel auf den Gletscher nieder, als dass die Führer für den folgenden Tag hätten feste Verabredungen treffen und gute Geschäfte machen können."
Wikimedia Commons contributors, "File:ETH-BIB-Rhonegletscher-Front-Variationen 1654-1914-Dia 247-Z-00235.tif," Wikimedia Commons [08.11.2024]; Joseph Viktor Widmann, Spaziergänge in den Alpen, Frauenfeld 1896, S. 261-262
Die Quelle des Hinterrheins lag im 19. Jahrhundert noch beim Gletschertor des Rheinwaldgletschers. Heute existiert dieses gar nicht mehr und auch der Gletscher selber ist in drei Zungen zerfallen: Die beiden Paradiesgletscher und den Zapportgletscher. Ein ganz anderes Problem hatten die Talbewohner jedoch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts:
"Die Gletscher in dem Hintergrunde des Rheinwalds haben, nach der Sage der Einwohner, zugenommen, und ehmalige nutzbare Alptriften sind jetzt mit Gletschern bedeckt. Es wird behauptet, dass ehedem über die Zaport-Alp ein Pass ins Kalanker-Thal führte, auf dessen Höhe ein Wirthshaus war, und dass an einem Orte eine heidnische Kapelle, nachher eine Einsiedeley gestanden habe, wo jetzt nur Gletscher liegen."
https://nossaistorgia.ch/entries/KEAVXQ87DNa [29.11.2024]; Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Bd. 4, Zürich, S. 109
"Will man zu dem Gletscher in den Kessel hinabsteigen, so muss man sehr gute Führer bey sich haben, sonst wage man es nicht. Aus dem Kessel zurück über die meistens mit Steintrümmern bedeckte Paradies-Alp und durch die Hölle verkürzt den Weg sehr, aber ohne kundige Führer ist es nicht möglich. Das Eisgewölbe, woraus der Gletscherbach hervorströmt, ist bisweilen gross und prächtig. Dieser Gletscherbach und die 13 Bäche, welche über den Felsenkamm herabschäumen, sind die eigentlichen Quellen des Hinter-Rheins."
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Bd. 4, Zürich, S. 108-109
Carl Gottlob Küttner, Briefe eines Sachsen aus der Schweiz an einen Freund in Leipzig, Leipzig 1785/86, Bd. 2, S. 117-118; Christian Pfister, "Kleine Eiszeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.05.2010 [18.10.2024]; Christian Pfister; Conradin A. Burga; Hanspeter Holzhauser; Sven Kotlarski; Ueli Haefeli: "Klima", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.09.2021 [18.10.2024]; https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-72560.html [18.10.2024]; https://interaktiv.tagesanzeiger.ch/2022/gletscher-prognosen/ [17.08.2023]