Karl Baedeker äussert sich 1844 in seinem berühmten Reiseführer wenig begeistert über die Genfer Sehenswürdigkeiten. Nachdem er unter anderen die Grabstätte Johannes Calvins (1509-1564) und das Geburtshaus Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) erwähnt hat, schreibt er: "Die Besichtigung aller dieser Gegenstände wird kaum mehr als einen Tag in Anspruch nehmen; sie sind im Ganzen so wenig erheblich, dass Genf vor mancher deutscher Provinzialstadt gleicher Grösse hierin zurück treten muss. Um so grössere Bedeutung hat Genf aber in geistiger Beziehung. Innerhalb seiner Mauern traten Ideen und Gedanken in die äussere Erscheinung, welche im 16. wie im 18. Jahrhundert die alte Europa in ihren Grundfesten erschüttert haben und heute noch in Bewegungen des staatlichen Lebens diesseits und jenseits des Weltmeeres, wie ein rother Faden zu erkennen sind."
Karl Baedeker, Die Schweiz. Handbüchlein für Reisende, nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen bearbeitet, Koblenz 1844, S. 300
In vier Stunden gelangte man von Genf nach Nyon, auf einer Strasse, die fast immer dem Ufer des Sees entlang führt. Nyon hatte 1823 ungefähr 2500 Einwohner, die in 333 Häusern lebten. Vom Schloss sowie von der Terrasse des Marronniers geniesst man schöne Aussichten. Zu Füssen des Schlosses erstreckt sich die Vorstadt namens Rive, wo sich der Hafen und die Zollstelle befand. Das Zusammentreffen der Strasse von Genf mit einer Strasse aus Burgund begünstigten den Handel. Erwähnenswert schien dem Autor des Begleittextes ausserdem die hohe Dichte an Erziehungsanstalten für Kinder beiderlei Geschlechts.
Voyage pittoresque au lac de Genève ou Léman, Zürich 1820, Ansicht von Nyon
Überraschenderweise gehörte Morges 1820 zu den handelsstärksten Städten des Landes, insbesondere wegen der Kanonengiesserei. Im Jahr 1855 entstand auch die erste Eisenbahnverbindung im Kanton Waadt; sie verband Morges mit Yverdon. Es handelte sich um die erste Linie, die eine Reise zwischen dem Genfersee und dem Neuenburgersee ermöglichte. Die Fahrt dauerte 1 Stunde und 22 Minuten, einschliesslich der Haltestellen. Für diese Strecke braucht man heute gerade noch 23 Minuten.
Voyage pittoresque au lac de Genève ou Léman, Zürich 1820, Ansicht von Morges; https://notrehistoire.ch/entries/ZnYJKdA6Bok [28.04.2023]
Kommen wir über den See nach Lausanne, können wir bereits die 1275 geweihte Kathedrale und das Schloss in der Ferne erkennen. Karl Baedeker beschreibt das Innere der Stadt als weniger attraktiv, da es nur bergauf und bergab geht. Dies schreckte reiche Ausländer jedoch nicht ab, wie Johann Gottfried Ebel schreibt: "Die herrliche Lage und die geistreichen Gesellschaften unter ihren Einwohnern [...] hatten Lausanne, man kann sagen schon seit Jahrhunderten, zum Lieblings-Aufenthalte der reichen Ausländer von allen Nationen gemacht. Besonders lebten hier immer sehr viele junge Engländer und andere reiche Jünglinge, deren einziger Zweck nur darin bestand, die ihnen fremde Sprache und die feinen Sitten der Gesellschaft zu erlernen."
Voyage pittoresque au lac de Genève ou Léman, Zürich 1820, Ansicht von Lausanne; Karl Baedeker, Die Schweiz. Handbüchlein für Reisende, nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen bearbeitet, Koblenz 1844, S. 320-323; Johann Gottfried Ebel, Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Bd. 3, Zürich 1809, S. 184-285
Ins Abendlicht getaucht sehen wir hier die Weinberge des Lavaux, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Ab dem 12. Jahrhundert bebauten Zisterziensermönche das Land, indem sie im steilen Gelände Rebterrassen anlegten. Noch heute prägen die Stützmauern, Treppen und Rebhäuschen den Charakter der Landschaft. 1844 schreibt Karl Baedeker über die unten links zu sehende Strasse: "Die Landstrasse von Lausanne nach Vivis ist meist zwischen Weinbergen eingeschlossen und gewährt weder Schatten noch Aussicht; sie ist für Fussgänger sehr ermüdend, und wird weit zweckmässiger in einem Omnibus oder auf dem Dampfboot zurückgelegt." 1820, als diese Ansicht erschien, gab es jedoch weder das eine noch das andere.
Laurence Margairaz Dewarrat, Lavaux, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2010, übersetzt aus dem Französischen [03.06.2024]; Karl Baedeker, Die Schweiz. Handbüchlein für Reisende, nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen bearbeitet, Koblenz 1844, S. 324
Laut dem Autor der Zeilen, die diese Ansicht begleiten, geniesst Vevey eine absolut einzigartige Lage, die es ermöglicht, weniger luxuriös und günstiger als in Lausanne zu leben, aber genauso urban zu sein. In der Ferne sehen wir die Kirche St.-Martin, ein architektonisches Meisterwerk der Spätgotik, das die Stadt dominiert. Vevey ist berühmt für sein Winzerfest, das seit 1797 zur Feier des Weinbaus veranstaltet wird. Auch heute noch ist es ein spezielles Ereignis, da es nur alle 14 bis 20 Jahre stattfindet.
Voyage pittoresque au lac de Genève ou Léman, Zürich 1820, Ansicht von Vevey
Im Hintergrund dieser Ansicht von Montreux stellt Johann Jakob Wetzel auch den Dent-de-Jaman dar, einen Gipfel in den Waadtländer Voralpen. Der Weg zum Gipfel dauerte etwa drei Stunden (heute 1 Stunde und 45 Minuten), aber es war auch möglich, mit dem Pferd auf den Gipfel zu reiten. Der Weg zu Fuss war jedoch angenehmer und kürzer, aber man benötigte einen Führer. Alte Reiseführer geben uns manchmal auch einige Informationen über die Stellung der Frau im 19. Jahrhundert. Im Begleittext zu dieser Ansicht lesen wir: "Der Weg ist weder anstrengend noch gefährlich, auch nicht für diejenigen, die ihn zu Pferd zurücklegen, und es kommen oft Frauen vorbei."
Voyage pittoresque au lac de Genève ou Léman, Zürich 1820, S. 41
Die erste schriftliche Erwähnung des Schlosses Chillon stammt aus dem Jahr 1150, die Befestigungsanlage gehörte damals dem Haus Savoyen. Das Gebäude entspricht nicht ganz den Kriterien der sogenannten savoyischen Schlösser, da diese auf einem quadratischen Grundriss errichtet wurden. Die Architektur des Schlosses Chillon passt sich hingegen der ovalen Form der Felseninsel an, auf der es errichtet wurde. Der Name "Chillon" bedeutet "Felsplattform". Zwischen dem 16. und dem Ende des 18. Jahrhunderts ging das Schloss in den Besitz der Berner über. Das Wappen der Stadt Bern wurde an der Fassade auf der Seeseite angebracht, aber heute sehen wir nur noch einen Teil der Bärenohren. Am 10. Januar 1798 wurde das Schloss Chillon von Vevey und Montreux übernommen, und einige Wochen später erklärte der Kanton Waadt seine Unabhängigkeit. Chillon wird durch den Besuch von Lord Byron im Juni 1816 weltberühmt. Er schreibt "The Prisoner of Chillon", ein Gedicht, das von der Geschichte des Gefangenen François Bonivard (1493-1570) inspiriert ist. Auch andere Persönlichkeiten wurden von Chillon inspiriert, wie z. B. Rousseau, Victor Hugo, William Turner und Salvador Dali.
https://www.chillon.ch/chateau/ [28.04.2023]
St-Gingolph ist schon lange ein zertrenntes Städtchen: Heute liegt die eine Hälfte in Frankreich, die andere in der Schweiz, wobei das rechte Ufer der Morge, die durch den Ort fliesst, die Grenze bildet. Als Johann Jakob Wetzel kurz vor 1820 diese Ansicht zeichnete, gehörte das Wallis schon zur Eidgenossenschaft, der andere Teil lag im Königreich Sardinien-Piemont.
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Band 3, Zürich 1810, S. 75
Gemäss Johann Gottfried Ebel war Thonon-les-Bains, die alte Hauptstadt der Landschaft Chablais, vor allem für die Aussicht von seiner Terrasse über den Genfersee an einer seiner breitesten Stellen berühmt. Die Distanz zwischen Thonon und das am gegenüberliegenden Waadtländer Ufer gelegene Rolle beträgt laut Ebel 3 1/4 Stunden – etwa 15.6 km. Tatsächlich beträgt die Distanz auf der Schweizerkarte etwa 14 km.
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Band 4, Zürich 1810, S. 336-337; https://s.geo.admin.ch/qesasiu17hrl [07.06.2024]
Johann Gottfried Ebel, Anleitung, auf die nüzlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen, Band 3, Zürich 1810, S. 70-71; Rebecca Gericke-Budliger: «Johann Jakob Wetzel». In: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, 2019 (erstmals publiziert 1998). [23.02.2024]; Paola von Wyss-Giacosa: «Franz Hegi». In: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, 2017 (erstmals publiziert 1998). [03.05.2024]; "Johann Hürlimann". In: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz. [10.06.2024]